Motortuning auf Tuningstufe 2.5, Tag 3 des Umbaus
03.07.2006 - Umprogrammierung der Kennfelder in Gießen mit folgender Heimfahrt / Probefahrt auf Autobahn
Nach dem erfolgreichen Umbau des Motors musste nun noch die Motorelektronik angepasst werden. Aber bereits die Probefahrt am Vortag brachte kaum eine Verbesserung des angeblichen Temperaturproblems. Subjektiv waren es vielleicht ein paar einzelne PS mehr wie zuvor, die Höchstgeschwindigkeit wurde aber recht langsam erreicht und dann auch nur bei etwa 230km/h. Klar zu wenig. Klar weniger als noch vor wenigen Monaten. Also stimmt irgendetwas nicht. Die noch vorhandene Leistung schätzte ich auf rund 150PS.
Also, bevor die Motorelektronik angepasst würde, sollte erst einmal ein Leistungstest zeigen, dass der Motor überhaupt gesund ist.
In Gießen angekommen erklärte ich Herrn Regelin die Problematik und er setzte sich in den Speedster, um ihn in die Halle zu fahren. Dabei gab er wenige Male definiert Gasstöße. Und meinte dann spontan, dass er bereits ziemlich sicher wisse, woran das Problem liege. Ich fahre im Moment einen Sauger! Kein Ladedruck!
Und so war es dann auch. Die Betätigung des Wastegates war schlicht nicht mehr vorhanden, eine Mutter war wohl im Werk nicht fest genug angezogen worden und irgendwann abgefallen. Das Wastegate (so genanntes Bypassventil) stand nun komplett offen, der Motor blies seine Abgase nicht mehr in den Lader, sondern daran vorbei, also nahezu ungenutzt durch den Auspuff raus. Somit auch kein Ladedruck am Einlass.
Soweit ja eigentlich kein Problem. Hebel wieder auf die Stange der Druckdose aufschwenken, neue Mutter drauf und festziehen, fertig ist der Turbo. Sollte man denken.
War aber nicht.
Das Wastegate hing nämlich in der Endstellung fest, war mit der Hand nicht mehr zu bewegen, nicht einmal mit bestem Willen. Letztlich half ein kleiner Hammer, die Klappe wieder aus ihrer (unnormalen) Endstellung zu befreien. Nun sollte das Problem aber wirklich behoben sein.
War es aber immer noch nicht.
Es folgte der Prüfstandslauf. Und dieser zeigte ein ungesundes Schwingverhalten im Overboost. Offensichtlich bleibt das Wastegate mechanisch kurz hängen und löst sich dann einen kurzen Moment später wieder, dabei kommt es zu einem stark erhöhten Ladedruck, der dann schnell übermäßig weit nach unten absackt und dann gegen den eigentlichen Sollwert strebt. Dieses Verhalten sieht man auch im Leistungs- und Drehmomentdiagramm. Das Drehmoment geht kurzzeitig über 300Nm hoch, fällt dann stark ab, und geht dann irgendwann auf die üblichen 250Nm.
Dies deutet darauf hin, dass das Wastegate in der fehlerhaften Endstellung einen mechanischen Schaden genommen hat. Und damit ist das auch ein Laderschaden, da das Wastegate beim Z20LET im Turbolader sitzt. Sollte also dieses schwingende Overboost-Verhalten nicht demnächst von selbst wieder verschwinden, ist ein Ladertausch obligatorisch. Oder zumindest Ausbau und Reparatur. Es sei noch anzumerken, dass die Motorleistung serienmäßig bereits bei knapp 155.8kW (etwa 212PS) liegt, trotz warmer Umgebung und ohne Anblasen des Ladeluftkühlers. Nach Aussage von Regelin ist das aber durchaus ein normaler Wert für einen Serienturbo.
Leistungs- und Drehmomentmessung mit erkennbarem Fehler des
Wastegates (Overboost)
Die abgefallene Wastegate-Betätigung
Der Speedster #4718 auf dem Prüfstand
Die Leistungsmessung mit der veränderten Software musste aufgrund der durchrutschenden Kupplung abgebrochen werden. Ab etwa 2500 Umdrehungen war schlicht Schluss, das Drehmoment so hoch, dass der Motor "den Rädern davonfuhr"! Eine Probefahrt zeigte das gleiche Bild. Starkes Gas bei Drehzahlen um 2000 - 3000 Umdrehungen führt zu einer deutlichen Drehzahldifferenz Motor / Triebstrang. Dies wird noch durch den Defekt des Wastegates unterstützt, die beabsichtigten 1.5 bar Ladedruck werden kurzzeitig um bis zu 0.3 bar überschritten, das Drehmoment liegt dabei jenseits der 400Nm und die Kupplung schwenkt die weiße Fahne. Stinkt schön.
Dennoch entschied ich mich, die Software im Fahrzeug zu belassen und die Angelegenheit erst einmal zu beobachten. Schließlich gibt es immer noch eine sinnvolle Drehmomentbegrenzung: das Gaspedal lupfen. Insofern ist das Auto fahrbar (und wie!!!). Es wird aber sehr zeitnah eine Sportkupplung vom Typ Sachs organisch verbaut werden, diese ist inzwischen bestellt. Diese wird dann 500Nm aushalten und damit wird die Rakete zumindest kupplungsseitig vollgasfest.
Die Heimfahrt war bombastisch, ja orgiastisch! Ich darf wirklich sagen, dass ich niemals bisher ein derart schnelles Auto gefahren, ja sogar nur gesehen habe. Das bezieht sich aber ausdrücklich nicht auf die Höchstgeschwindigkeit, die nach wie vor bei rund 255km/h liegt, sondern auf das schon fast pervers hohe Drehmoment, welches einem Beschleunigungen erlaubt, die geltenden physikalischen Grundsätzen zu trotzen scheinen. Dieses Auto tritt bei Tempo 200km/h so stark an, wie andere beim Sprint aus dem Stillstand. Etliche Male hatte ich Drängler hinter mir, die es bei 200km/h für nötig hielten, mich von der linken Spur schieben zu müssen, obwohl ich nur darauf gewartet habe, dass mein Vordermann seinen Überholvorgang abschließen kann und die Strecke wieder frei ist. War sie das plötzlich, schaffte man Abstand. 21... 22... kaum noch was zu sehen im Rückspiegel. Selbst gewohnt schnelle Fahrzeuge bekommen nicht ansatzweise einen Stich ab. Herrlich.
Allerdings bekommt man als Techniker wirklich Angst, die Mechanik macht das keine fünf Sekunden mit, der Motor platzt, das Getriebe dreht die Zahnräder rund. Es soll aber bereits über 50 Fahrzeuge geben, die mit dieser Leistung teilweise 70.000 Kilometer fahren, allesamt wohl ohne einen Motor- oder Getriebeschaden. Wir werden das glauben und beobachten müssen...
Eine Testbeschleunigung mit rutschender Kupplung und dementsprechender Gasdosierung ergab (Achtung: alles Tachometerablesungen):
- rund 4 Sekunden von 0 auf 100km/h
- rund 12 Sekunden von 100 auf 200km/h im vierten Gang (Elastizität)
- rund 13 Sekunden von 100 auf 200km/h im fünften Gang (Elastizität)
Das sind Hausnummern!
Das wirklich Schlimme bleibt jedoch das Wastegate. Ein neuer Turbolader ist teuer und aufwändig auszutauschen. Bleibt abzuwarten, ob sich das Wastegate nochmal einarbeitet. Die Chancen schätze ich aber eher gering ein.
Ein paar wichtige Hinweise für Interessierte, die beabsichtigen, ihrem Z20LET eine vergleichbare Leistungskur zu gönnen:
- Nur bestes Synthetiköl verwenden und häufig wechseln,
spätestens nach 10.000km. Entweder 5W-50 oder besser noch 10W-60.
- Motor unterhalb einer Öltemperatur von 80°C niemals voll belasten, keine
Drehzahlen oberhalb 3000 Umdrehungen, KEIN LADEDRUCK!
- Motor oberhalb einer Öltemperatur von 100°C niemals abschalten, sonst droht
Lagerschaden im Turbolader durch Ölverkokung.
- Zusätzlichen Ölkühler halte ich für absolut unverzichtbar!
- Zusatzinstrumente für Ladedruck und Öltemperatur halte ich für nahezu
unverzichtbar.
- Eine derartige Leistungs- und vor allem Drehmomentauslegung fordert vom Fahrer
viel Fahrerfahrung und Verantwortungsgefühl. Nicht für Anfänger geeignet. Als
Tuner würde ich schon gesonderte Nachweise wie eine Rennlizenz verlangen, eh ich
solch ein potentes Fahrzeug freigäbe.
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